Einleitung

Den Gefallenen zum Gedächtnis

Den Mitkämpfern zur Erinnerung

Der Jugend zum Vorbild

 

Zum Geleit

„Sagt mir, was hat er an Gut und Wert
Wenn der Soldat sich nicht selber ehrt.“
(Schiller, Wallensteins Lager)

Die Geschichte des Landes und Volkes der Bayern ist durch die Jahrhunderte erfüllt mit kriegerischem Ruhm. Aber noch nie, seidem das Bayernvolk in Waffen stand, hat es soviel Begabung, soviel Können und Wissen, soviel aufopferungsvolle Begeisterung ins Feld geschickt, wie im Oktober 1914 in der jungen Truppe des Regiments List. Zu seinen Fahnen eilten Münchens Kriegsfreiwillige, Bürgersöhne, Studenten, Akademiker, Künstler. Darum hatte der Name des Regiments vom ersten Tage an in Bayern ganz besonderen Klang, darum schlugen bei seinem Ausmarsch in München viele Herzen schneller, aus freudigem Stolz und schmerzlicher Sorge, darum hat das heldenhafte Schicksal des Regiments in Hunderte von Münchner Familien schweres Leid gebracht.

Gewiss sind im Weltkrieg von bayerischen Truppen viele und glänzendere Waffentaten vollbracht worden. In Ost und Süd wurden die weißblauen Farben im Sturm von Stadt zu Stadt, von Berg zu Berg, über Fluß und Tal getragen. Aber keine bayerische Truppe hat unser Regiment an Heldenmut und Opfersinn übertroffen. Der Gemeinschaftsgeist, der von den hohen Schulen für Wissenschaft, Technik und Kunst ausging, lebte und glühte in den Listern, Freiheit und Vaterland galten ihnen in Wahrheit höher als das Leben. 3000 Mann stark sind sie ins Feld gerückt. Jeder Vierte dieser Tapferen hat in den ersten Kämpfen vor Ypern den Sieg über einen Schlachten erprobten Gegner und den Gewinn von einigen 1000 Schritt flandrischen Bodens, Zoll um Zoll, mit seinem Herzblut erkauft. Aber diese Tage vor Ypern zählten zu den schwersten Schlägen, die je gegen die englische Armee geführt wurden.

Seit 1915 kehrt fast in allen Veröffentlichungen die Nachricht wieder,dass die Lister beim Sturm auf Ypern das Deutschlandlied sangen. Das ist ein geschichtlicher Irrtum.

Über 14 Tage vor Langemarck sangen die Lister, sangen Münchner Studenten und Freiwillige beim Sturm auf Gheluvelt das alte deutsche Trutzlied „Die Wacht am Rhein“. Es ist der höchste Ruhm des Regiments, dass seine Frontsoldaten nicht in jugendlicher, überquellender Begeisterung auf dem Vormarsch in die Schlacht das Lied sangen, sondern in Not und Tod, mitten im schwersten Ringen, wie das Reglement es befahl, um sich deutschen Landsleuten zu erkennen zu geben. Damals, als einschwärmende Sachsen und Württemberger in Unkenntnis, dass da vorne schon deutsche Kameraden fochten, irregeführt durch die Mützen, wiederholt auf die Lister das Feuer eröffneten. Der Schlachtenlärm hat das deutsche Lied verschlungen, im Kampfgetöse ist es verklungen, aber das Andenken daran wird bestehen, so lange es eine deutsche Geschichtsschreibung gibt.

Soldatenrum ist stilles Sterben. Seit der Tod Ypern sich ans Regiment klammerte, haben 3754 Liste dieses Wort wahr gemacht. Auf dem großen Leichenacker von der Küste Flanderns bis zu den heimatlichen Bergen im Elsass stand manch schlichtes weiß blaues Grabkreuz und kündete, dass hier bayerische Sechzehner ihre Pflicht getan. Viel Jahre Westfront heißt 4 Jahre Kampf auf der blutigster Wallstatt des Weltkrieges, Kampf gegen die hochstehendsten unserer Gegner, die stolzen Briten, die unversöhnlichen Franzosen, gegen die freien Bürger der neuen Welt.

In dem ungleichen Waffengang Deutschlands mit halb Europa und 4 fremden Weltteilen hat sich das Regiment mannhaft in den lebendigen Wall schützender deutsche Leiber gestellt und auf den Großkampffeldern Frankreichs in eiserner Pflichterfüllung standgehalten. Anfang, Mitte und Ende aller Kämpfe sind die Ehrentage des Regiments in Flandern, Ruhm und Heldensterben des Reserve-Infanterie-Regiments 16 ist für immer verknüpft mit den Namen Gheluvelt, Becelaere und Wytschaete. Zweimal, 1915 und 1916, hat es bei Fromelles den Einbruch überlegener Engländer und Australien in seine Stellung abgewehrt , beim Sturm auf das verlorene Neuve Chapelle und bei La Bassee 1915 schwer bedrängten deutschen Truppen Waffenhilfe gebracht, hat an der Somme in zwölftägigen blutigen Ringen im Oktober 1916 keinen Fußbreit Boden verloren, im Winter 1916 1917 die Kampf umwogte Vimyhöhe gehalten, hat in 5 Großkampftagen in der Arrasschlacht im Mai 1917 alle englischen Angriffe abgewiesen , 1918 an der Spitze deutscher Kampftruppen über den Chemin des Dames den Vorstoß zur Aisne geführt und in 5 Tagen 23 Kilometer der französischen Front aufgeräumt und durchstoßen, hat an der Marne und bei Bapaume gestritten und geblutet.

Mit dem Eintritt Italiens, Rumäniens und ungezählter kleiner Nationen war das Schicksal Deutschlands bedroht, mit dem Amerikas entschieden. Immer stockender und schwerer ging im dritten und vierten Kriegsjahr der Pulsschlag der deutschen Armee, aber setzte nie hörbar aus. Wenn auch die unbegrenzten Reserven an Menschen und Material, die gigantische Wucht der feindlichen Geschütze und Tankmaschinerie die Vorwerke der blockierten und berannten Festung Deutschland erkennbar zurückdrängten, in dem unaufhörlichen Wechsel von Angriff und Gegenangriff, Stoß und Gegenstoß sich das Kampffeld langsam zu Ungunsten der Deutschen verschob – es wäre schlimme Selbsttäuschung, dies zu verkennen – so entfachte sich doch die erlahmende Widerstandskraft immer wieder an dem Vernichtungswillen der Feindmächte, an der furchtbaren Erkenntnis dessen, was dem besiegten Deutschland drohte. Reserve-Infanterie-Regiment 16 ist ein getreues Abbild der Front im Kleinen. Kommandeure, Führer und Unterführer kamen und gingen, die Bataillone schwanden und schrumpften auf Kompanie-, die Kompanien auf Zugs-, Halbzugs-, ja fast Gruppenstärke zusammen. Aber das Regiment wahrte die große Tradition, die es vor anderen zu bewahren hatte, die des Geistesadels. Als letztes deutsches Regiment verlässt das Regiment List am 17. November 1918 Brüssel, Während zu Häupten der Soldaten schon die Fahnen, Farben und Wimpel der Feindmächte flatterten. Es hat der deutschen Würde nichts vergeben. Aufrecht und zuchtvoll, ein Fels im brandenden Meer des Zusammenbruchs und sich überstürzenden politischer Ereignisse kehrte es Heim , ein Verdienst des letzten Kommandeurs und des guten, alten Frontkämpfergeistes.

Mit gleichem Stolz und treuer Anhänglichkeit standen alle Ausmarschlister und Sechzehner zu ihrem unerschrockenen Brigadekommandeur, Generalleutnant von Kieshaber, der am liebsten vorne im Kampfgraben bei seinen Soldaten weilte. Sie alle kannten und verehrten diesen General ohne Furcht und Tadel unter dem Ehrennamen des „Schützengrabengenerals“.

Das Regiment brachte größere Blutopfer wie die meisten Regimenter, größere wie die Schwesterregimenter der eigenen Division, größere wie selbst das ruhmreiche Leibregiment. Das ganze Königreich Bayern verlor im kriege 1870/71 nur 71 Mann mehr als das einzige bayerische Reserve-Regiment 16 im Weltkrieg. Noch Während des Krieges hat denn auch die dankbare Stadt München dem Regiment List und seinen Freiwilligen ein besonderes Ehrenmal gesetzt, die Gedächtnisfenster im Rathaus, seitdem alljährlich die Trauerstätte für die auf dem Felde der Ehre gebliebenen Kameraden.

Das Bild des Regiments List wäre nicht vollständig ohne den Hinweis auf die geschichtliche Tatsache, dass in seinen Reihen der Kriegsfreiwillige Adolf Hitler 4 Jahre an der Westfront stand, der später der Gründer und Führer einer der stärksten politischen Parteien Deutschlands wurde.

Die französische Armee drückte jedem Mitkämpfer an der Entscheidungsschlacht im Frühjahr 1918 ein gedrucktes Erinnerungsblatt in die Hand, das er aufbewahren sollte für Kinder und Kindeskinder als schriftlichen Beweis, dass er an der großen Schlacht der Nation teilgenommen. Für jeden Kameraden, der im Reserve-Infanterie-Regiment 16 List gekämpft hat, soll die Regimentsgeschichte, mag er seinen Namen darin finden oder nicht, der schriftliche Beweis für die große Zeit seines Lebens sein, was Heldenhaftes er, seine Kompanie, sein Bataillon, sein Regiment geleistet. Wenn unsere Fluren nicht von fremden Rassen, Geschützen und Gespannen zerstampft, zerwühlt und zertreten wurden, wenn Rauch und Flammen der Zerstörung nicht über der bedrohten Heimat zusammenschlugen, so ist das mit das Werk eines jeden von euch, ob Offizier oder Mann. Ihr alle, deren Leiber zerschrammt und verstümmelt, deren Gesundheit zerrüttet und gebrochen, denkt daran, wenn die Wundnarben schmerzen, dass sie euch geschlagen wurden, da ihr deutschen Boden vor fremden Zugriff bewahren wolltet. Den letzten wehen Gruß aber bringe das Buch denen ins Haus, die daheim der einst mit kochendem Herzen dem Atem der Front gelauscht, mit banger, zitternder Hand die Briefe aus dem Felde geöffnet, bis ihnen eines Tages die letzte todtraurige Gewissheit wurde. Vergesset nie, dass eure Söhne und Brüder, Gatten und Väter im Glauben an die Heimat fielen, Knechtschaft und Fron von ihr abzuwenden.

Einen um den andern haben sie draußen unter dem Donner der Geschütze in die fremde Erde gesenkt. Ihr Blut ist nicht umsonst vergossen. Es schreit zum Himmel um Gerechtigkeit für das fronende Deutschland.

Seit Valentin Witt zu Weihnachten 1914 seine Druckschrift über das Regiment List in die Öffentlichkeit brachte, ist das Interesse an der Regimentsgeschichte durch wiederholte Veröffentlichungen wach gehalten worden, so 1915 durch die blauen Hefte und 1920 durch ein Sonderheft der Zeitschrift Bayerland. Unser Buch möge Krönung und Abschluss der Geschichte des Reserve-Infanterie-Regiments 16 sein.

Offiziere in leitender Stellung, Kommandeure und Adjutanten haben sich der Aufgabe unterzogen das große Schlachtengeschehen des Regiments zu gestalten. Neben dieser taktisch-militärischen Darstellung vom Standpunkt und Blickfeld der höheren Führung aus haben Mitkämpfer ihre Erlebnisse mit warmen Herzen geschrieben. Taufrische Erinnerung der vordersten Kampffront, in ihrer Urform nicht selten schon auf dem Wundbett entstanden, doppelt wertvoll dort, wo die amtlichen Akten versagen. Besitzt doch das dritte Bataillon über die Zeit der schwersten Kämpfe vor Ypern kein Kriegstagebuch, das Regiment aus 3 Jahren keine Tagesbefehle. Ruhmvolle Taten sind damit der Vergessenheit anheimgefallen, da auch die Blutzeugen vieler Kämpfe nicht mehr am Leben sind. Meine Aufgabe war es, diese Geschichtslücken durch Tagebücher und Feldpostbriefe lebender und gefallene Kameraden nach Möglichkeit auszufüllen. Als Fachmann hatte ich über die geschichtliche Treue und darüber zu wachen, dass nichts Wesentliches aus den amtlichen Quellen, den Kriegstagebüchern und den verschweißten, zerknitterten Meldeblättern verloren ging, hatte Bausteine aus der Literatur beizuschaffen und die Darstellung dort zu übernehmen, wo es nicht gelang, einen berufeneren Bearbeiter zu finden.

Denn wenn wir schon vor dem Erscheinen des Buches mit den Vorausbestellungen eine Zahl erreichen, wie die wenigsten Regimenter vor uns, so danken wir dies neben dem Ruf des Regiments vor allem unserem lieben Kameraden Fritz Stöhr, dem getreuen Ekkehart des Regiments-Gedankens in der Nachkriegszeit. Die Einbandzeichnung verdanken wir dem Kameraden Kunstmaler Albert Schellerer, die Zeichnungen der Gefechts- und Stellungsskizzen zwei Offizieren des Regiments, den Bauräten Adam Blersch und Xaver Holzhammer. Um den künstlerischen Bildschmuck machten sich verdient der Kriegsmaler Professor Hans von Hanek , vom Regiment die Kunstmaler Wilhelm Ruh, Max Märtens, Alfons Popp und Max Beringer. Einige Skizzen erinnern an die gefallenen Kameraden Kunstmaler Otto Ammann und Kurt Peters. Die Überlassung von Bildern und Karten danken wir dem Stadtarchiv München, Oberbürgermeister Dr. Merkt-Kempten, Ministerialrat Ullmann, vom Regiment den Herren Oberst Spatny, Hauptmann Wiedemann, Biebel-Neustadt , Bildhauer Lösch-Solln, Kurz-Donauwörth, Benedikt Doppler, Max Herold, Walter Sedlmayer, Fritz Stöhr, München, allen voran aber Hans Bauer, München, und Oberlehrer Rutz-Polling. Für Übermittlung privater Aufzeichnungen seien namentlich bedankt die Herren Direktor Biebel-Neustadt, Oberregierungsrat Dr. Burgdorfer, Berlin, Kommissar Eichinger-Pfronten, Hofrat Gründig, Wien, Diehl, Düsseldorf, Oberingenieur Steinmayr, München, und Alexander Weiß, Oberstdorf.

Dem bayerischen Kriegsarchiv haben wir zu danken für die Aufnahme des Buches in die Reihe seiner Veröffentlichungen, für die jahrelange, großzügige Beschaffung und entgegenkommende Überlassung der amtlichen Quellen, Herrn Major Brennfleck insbesondere für das Mitlesen der Druckfahnen und für gar manche topographische Richtigstellung.

Wenn die oder jene Kampfhandlung in der Darstellung zu kurz gekommen sein sollte, so mögen die Leser beherzigen, dass da, wo am heftigsten und erbittertsten gekämpft wurde, immer am wenigsten geschrieben wurde und nie Bildaufnahmen gemacht wurden. Auf das Bekanntwerden vom Erscheinen des Buches sind dem Herausgeber verspätet noch manche Quellen zur Regimentsgeschichte zugegangen, so dass ich mich an jeden Leser mit der Bitte wenden möchte, Bilder wie Quellen zur Geschichte des Reserve-Regiments 16 List leih oder geschenkweise dem bayerischen Kriegsarchiv zu überlassen, um deren geschichtlichen Inhalt der Nachwelt zu sichern und künftiger Forschung zugänglich zu machen.

 

München, im Dezember 1931

Dr. Fridolin Solleder